Von der Geburt bis zum Tod / Bräuche

Stepan hat im Jahre 1929 eine wertvolle Sammlung geschrieben, die er von damals kennt und einen wertvollen Aufschluß gibt, wie die Menschen im Waldviertel früher ihr Leben lebten. Die freudigen und traurigen Anlässe, die das Leben selbst schreibt, werden von oft recht merkwürdigen Bräuchen umrankt. Ein tiefes Gemüt und heiliger Ernst werden gar oft vom Aberglauben begleitet. Es beginnt mit der Geburt und endet mit dem Begräbnis.

Die werdende Mutter mußte schon verschiedene „Vorschriften" beachten. Sie sollte nicht unter einer Wagenstange durchkriechen. Blieb ihr aber nichts anderes über, so mußte sie gleich wieder zurückkriechen, damit alles gut geht. Sie darf nichts Schreckliches anblicken, sonst bekommt das Kind den häßlichen Blick. Selbst der Blick in ein brennendes Haus kann dem Kind am Leib Feuermale bringen. Die werdende Mutter darf auch nicht stehlen, sonst wird das Kind ein Dieb. Auch vor Gericht soll sie nicht erscheinen, sonst wird das Kind ein „Gerichtshansi". Hat das Kind das Licht des Waldviertels erblickt, so wird es von der gesamten Nachbarschaft angeschaut, Kindischauen nennt man das. Die Mutter ließ früh auch die Taufpaten verständigen, die schon vorher um die Patenschaft gebeten wurden. Hebamme und Vater bringen mit Göd (oder Godl) den Täufling zur Kirche und Taufe, damit man nicht zu lang einen „Heiden" im Haus hat. Beim Suchen des Taufnamens gibt es nicht viel Auswahl. Man ist aber fest darauf bedacht, daß man nicht zurücktauft, das heißt, der Namenstag soll nach dem Geburtstag im Jahr kommen. Ein Taufmahl, bei besser »Gestellten", hilft dann den Nachhauseweg leichter ertragen. Die Hebamme übergibt den Täufling der Mutter und spricht: Einen Heiden hab ich weggetragen, einen Christen bring ich zurück. Die Godl gibt dann das Patengeschenk, meist Geld, in den Polster und auf gehts zum Taufmahl, das oft bis abends dauert und den Tag den Namen „Guter Tag" gibt. Dieses Patengeschenk wiederholt sich oft noch, je nach „Güte" der Godl (des Gödn), bis zur Hochzeit. Und zu Ostern gibts a rots Oar (Eier) mit Kuchen. Dafür haben die Täuflinge auch meist eine besondere gütige Zuneigung zum Paten. Die Behandlung der kleinen Leute widerspricht meist den Ernährungsgrundsätzen, da die Kleinen, sofern sie schon laufen, am Tisch mit der derben Kost der Großen mitessen dürfen und sollen.

Die Säuglinge werden im Pölsterl angeschnürt und in der Wiege unsinnig bewegt. Man hält sie zu warm und „hütet" sie vor frischer Luft. Gibt man sie vor sechs Wochen ins Freie, sollen sie Sommersprossen bekommen. Wenn man die Windeln im Freien trocknet, glaubt man, daß bald Blähungen nachkommen.

Bei Schlaflosigkeit, die den Eltern viel Unruhe bereitet, legt man den „Schlaf" unter den Polster, einen Abguß der Hundsrose oder gar einen „Mohnsuzel", die dann mehr oder weniger durch Betäubung die Ruhe bringen. Rauschgiftsüchtige könnten diesen Zustand der Betäubung näher erklären. Aber der Mohn wächst halt so gut im Waldviertel! Die Rauschgiftsüchtigen besorgen sich ihre Mohnextrakte dagegen aus dem Nahen Osten. Weint ein Kind viel, wächst es nicht und nimmt es ab, so war bestimmt jemand mit dem stechenden Blick an der Wiege. Da gibt es dann noch bewährte Gegenmittel, Verschreikraut nennt man das mancherorts.

Im Sommer werden die Kinder mit aufs Feld genommen und müssen dort bereits die ersten Nahkämpfe mit Mücken, Fliegen, Bremern in der würzigen Luft bestehen, die dann vor Müdigkeit den gesunden Schlaf besorgen.

Und gar früh schon heißt es dann, bei allen Arbeiten mithelfen, wobei das Viehhalten wohl die interessanteste für die Kinder sein dürfte. Leider stellt man derzeit fest, daß immer weniger Bauern ihr Vieh auf die Weide treiben und dadurch die gesunde Tätigkeit und das Zusammenleben mit dem Haustier nur selten mehr zu sehen sind.

Die Schule brachte dann, als sie zur Pflicht wurde, das jähe Ende der natürlichen Jugendzeit. Der nächste Göd (Godl) führt dann zur Firmung, die das erste große Erlebnis im Leben des Bauernbübleins darstellt. Je nach Qualität fällt dann das Firmungsgeschenk und das Reiseziel zur Firmung aus. A Bern (Rosenkranz), das Betbuch und, im besonderen, eine Uhr zieren diese Firmung. Es soll schon vorgekommen sein, daß der Firmling den „schweren" Göd nachhause führen mußte und dabei seine starken Kräfte erstmals einsetzen durfte.

Heiratet der Firmling, bekommt er eine Aussteuer von seinem Paten. Gefeiert werden im Waldviertel meist nur Namenstage, aber auf jeden Fall der des Gödn.

Die Hochzeit ist nun eine große Wende im Leben des Waldviertlers. Wie überall im Landleben sind es meist „Vemunftehen" und nicht „Liebesehen". Meist ist Voraussetzung bei der Partnerwahl das Geld, Besitz, gute Arbeitsmoral und Gesundheit, die kräftige Kinder erwarten lassen. Meist sind mehrere Kinder am Hof, die dann vom zukünftigen Besitzer ausgezahlt werden müssen. Liebesehen gegen den Willen der Eltern waren damals selten. Das heiratsmäßige Alter um die Jahrhundertwende ist zwischen 24 und 30 Jahren.

Das Heiratsalter ist natürlich sehr den Umständen angepaßt. Wilhelm v. Rogendorf verheiratete seine 14jährige Tochter Elsbeth an seinen besten Freund, Waffenlehrer, Waffenbruder, Niklas Grafen v. Salm, der für ihn als Brautwerber bei seiner eigenen Hochzeit ging. Vor 15 Jahren war diese Hochzeit! Daß dabei der junge Ehemann Salm bereits 61 Jahre alt war, daher um 47 Jahre älter als seine Frau Elsbeth und der Schwiegervater Rogendorf um 22 Jahre jünger war als der Schwiegersohn, spielte scheinbar auch keine Rolle, da Reil schreibt (344), Salm war seinem Schwiegervater gleich rüstig und tatkräftig. Die Taten des jungen Ehemannes Salm nach der Hochzeit, die ihn weiter berühmt machten, zeigen von viel Lebenskraft. Das Geschlecht der Rogendorfer selbst prägte durch 150 Jahre die Geschichte Pöggstalls und des Landes.

Der Tanzboden und das Fensterln sind willkommene Gelegenheiten, um sich kennenzulernen. Sollte besagtes Fenster in einem fremden Dorf sein, lebt der junge Herr gefährlich, da die dorfeigenen jungen Herren „dagegen" sind und diese sich oft handgreiflich zur Wehr setzen. Wenn sich der junge Herr mit seinem Dirndl ziemlich einig ist, besucht er das Elternhaus. Wird er dort anerkannt, bekommt er auf die Frage, ob er wieder kommen könne, das schöne Wörtchen „Ja", das dann soviel wie ein Einverständnis zur Heirat bedeutet. Oft geht er aber nicht allein hin, sondern wird von einem Kuppler begleitet, der alles vermittelt. Hat dies Erfolg, so bekommt er den Kuppelpelz, der verschiedenen Wertes sein konnte. Den Wert und Besitz der beiden Jungen wird der Herr eben auch auf seinen „Pelz" bezogen haben. Nicht immer ging diese Werbung gut aus. Ist man sich einig, gibt es dann ganz problemschwere Verhandlungen über Aussteuer, Mitgift, Lasten, Arbeiten und noch viel mehr. Ist auch dies vorbei, bekommt die Braut von ihrem Zukünftigen das Drangeld. Eigenartig ist, daß dieses Drangeld bei allen Abmachungen gegeben wird, wie Kauf, Verkauf, Dienstbotenaufnahme und allem, was eben durch das Drangeld als besiegelt gilt. Solange das Drangeld nicht zurückgegeben ist, gilt das Verlöbnis (Geschäft). Man geht zum Pfarrer, läßt sich einschreiben, die Verkündigung festlegen. Heute gibt es dazu noch die „Brautlehre", die gar oft recht gefürchtet wird. Im Brautstand muß die Braut aufpassen, daß sie sich nicht naß mache, da ihr Mann sonst ein Trinker wird. Geht ihr das Schürzenband auf, so bekommt sie bald ein Kind oder ihr Zukünftiger wird ihr bald untreu. Wem auf die Ferse getreten wird, der verliert seinen Hausstand.

Dann wird zur Hochzeit eingeladen. Da gibt es dann die Hochzeit mit Tanz, die „tanzende", oder ohne Tanz. Das Mahl wird entweder von jedem Eingeladenen selbst gezahlt, eigener Teller genannt, oder bei reichen Hochzeitern, was seltener ist, von diesen. Der Hochzeitstag wird in den Gegenden verschieden abgehalten. Der Brautführer ist der Organisator und hauptverantwortlich. Beim Trauungsakt muß die Braut weinen, weil es heißt: Weinende Braut, lachende Frau oder umgekehrt. Flackernde Kerzen am Altar deuten auf eine unruhige Ehe.

Und in der guten alten Zeit empfing der Wirt den Hochzeitszug vor der geschmückten Eingangstür mit einem Laib Brot, einem Krug Wein und zwei Gläsern. Der Bräutigam muß den Laib Brot anschneiden und an die Gäste austeilen. Beim Hochzeitsmahl muß es lustig zugehen, damit dies ein gutes Zeichen für die Ehe ist. Abends kommen dann die „Maurer" oder „Maschkerer", die Freunde der Hochzeiter, aus ihren Dörfern. Sie sind maskiert und bringen Schwung und Fröhlichkeit in die Runde. Die Braut wird dann geraubt und in ein anderes Wirtshaus entführt, wo sie der Brautführer (nicht der frische Ehemann) loskaufen muß mit der gesamten Zeche, die dort gemacht wurde. Bei dieser Brautentführung gilt aber, daß unbedingt der Brautstrauß mit dabei sein muß, sonst gilt die Entführung nicht. In manchen Gegenden versuchte man sogar die Schuhe der Braut zu stehlen, wenn sie friedlich am Tisch saß und die „Neuchen" zu sehr drückten. Vor dem Hochzeitsmahl werden die Geschenke für die Haussteuer übergeben, damit aller Anfang leichter wird. Die mitternächtliche Stunde bringt dann den Abschied vom Brautstand. Mit feierlichem Brautlied wird der Brautkranz abgenommen. Dazu muß viel an Tränen vergossen werden, damit alles gut ausgeht. Was vom Mahl übrig bleibt, wird den scheidenden Hochzeitsgästen als „Bschoad" mitgegeben. Mit Musik werden sie auf die Straße gespielt und verabschiedet.

In früheren Zeiten mußte der arme Bräutigam noch an die paar Tage oder gar Wochen auf seine Angetraute warten, da diese solange noch bei ihren Eltern blieb. Da hat sich schon etwas geändert in neuerer Zeit!

Das gemeinsame Wirtschaften zwischen Alten und Jungen blieb immer eine Notlösung, die zu nichts Gutem führte. In der Landwirtschaftlichen Fachschule hörte man oft, daß das Neue und die Besserungen doch nicht anzuwenden seien, da der Vater fürs Neue nichts übrig hätte. So kann eben der neue Lebensabschnitt mit Freud, aber auch mit viel Leid beginnen.

Stepan stellt fest, daß im Waldviertel die Bräuche nicht sehr verschieden seien. Doch bleibt es jedem frei, festzustellen, wie es bei ihm im Dorf oder Markt bei diesen Anlässen zugeht.

So war der Beginn des Lebens. Das Ende hat auch seine eigenen Wege. Der Versehgang zeigt an, daß es nicht gut geht. Bei der letzten Ölung treten alle in das Krankenzimmer. Hört man um diese Zeit den Totenvogel oder Wichtel (Schleiereule), kräht eine Henne, heult ein Hund, setzt sich ein Rabe oder eine Elster aufs Dach, so ist der Tod gewiß. Gehts zu Ende, bekommt der Sterbende in seinem „Zögn" (ziehen) eine brennende Kerze und ein Kreuz auf die Brust. Ist der Todeskampf sehr lange, so wartet der Sterbende noch auf den Besuch eines teuren Menschen. Das Hinscheiden zeigt er auch durch ein „Anmelden" an. Uhren bleiben stehen, Bilder fallen herunter und eine Tür geht auf, das sind Zeichen für das Ende. Nach dem Tod werden Tür und Fenster geöffnet. damit die gute Seele hinausfliegen könne. Die Einsargung wird meist von daran Geübten durchgeführt. Der Sargleger wurde vorher schon herbeigerufen. Das Gesicht bleibt nur frei, wenn man den Toten anschauen will. Das Sterbeglöckerl wird geläutet und jeden Abend „nachtgwacht", das heißt am offenen Sarg in der Stube gebetet. Bis Mittemacht wird gebetet und dazwischen Brot und Trunk gegeben. Von jedem Haus wird mindestens eine Person zum Begräbnis geladen. Wird der zugenagelte Sarg aus dem Haus getragen, wird er mit den Füßen voran dreimal gehoben und abgesetzt, womit der Abschied des Toten angezeigt wird. Mit einem Leiterwagen wird der Tote zur Pfarre geführt. Im tiefen Winter wird der Sarg mit einer „Roafern" (Rundholz), mit Stricken angebunden, zu Tal getragen. Bei einem Kreuze am Wege nimmt man noch einmal Abschied. Die Begräbnisfeierlichkeiten sind dann meist je nach Ort verschieden.

Der Vorbeter sorgt beim Begräbnis selbst und bei der nachmaligen Zehrung dafür, daß im Gebet aller gedacht wird. Und gar oft hört man, wer da aller in der hoaßen Glut schmachtet und unsere Gebete braucht. Je nach Besitz wird dann die Zehrung eingenommen, die Beuschel, Gulasch, meist aber gekochtes Rindfleisch mit Semmelkren ist (Bauernchadeau). Je größer die Zahl der Zehrungsteilnehmer, umso angesehener war der Verstorbene.

Dessen Seele bleibt dann lange noch unter den Hinterbliebenen. Das Leiden soll abgekürzt werden, indem man Messen lesen läßt, fleißig betet und a guate Nachred hält.

Der Besuch der Gräber nach dem Sonntagsgottesdienst ist auch ein Beweis der nachmaligen Treue. Manche stören diese Ruhe, indem sie ein Messer auf den Rücken legen oder die Tür heftig zuschlagen. Singt das Feuer, so weint die arme Seele. Da muß man dann Salz hineinstreuen. Und im Traum verlangt der Dahingeschiedene des öfteren Messen und Kerzen.

All dies stellt man im Jahre 1929 fest. Viel davon ging verloren, manches lebt heute noch weiter. Es bleibt uns heute überlassen, welche Werte diese Bräuche und Handlungen den Menschen von damals gaben und heute noch geben können.