Sagen rund um den Ostrong

Der Riesenfisch im Ostrong

Im Innern des Ostrong befindet sich ein großer See. Nicht ein gewöhnlicher See, wie andere es sind, nein, ein ganz eigenartiger See ist es, der das Innere des Berges ausfüllt.

Dunkel und kalt ist sein Wasser. So tief ist er, daß man nicht auf den Grund sehen kann. In diesem geheimnisvollen See lebt ein Fisch von ganz ungewöhnlicher Größe, ein richtiger Riesenfisch. Manchmal ist in der Gegend ein Dröhnen zu hören. Dann ducken sich die Menschen, als fiele über ihnen der Himmel ein. Es ist ja schließlich auch kein Wunder. Weiß doch der Einheimische, woher dieses Rumoren kommt und was es bedeutet. Es ist der Riesenfisch im Ostrong, der mit seinem Schwanze an den Berg rührt.

Noch schläft er. Noch steht sein mit goldenen Schuppen überdeckter Körper ruhig im Wasser. Noch sind seine Augen aus Riesendiamanten geschlossen. Nur ganz selten blinzelt der Riese. Dann geht ein Funkeln wie von tausend Feuern durch das Innere des Berges und erleuchtet den See taghell.

Einmal aber wird der Riesenfisch aus seinem Schlage völlig erwachen. Dann bedeutet dies den Untergang des Yspertales. Mit seinem Schwanze wird er an den Berg schlagen, daß ein Dröhnen, ein Sausen und Brausen die Luft erfüllen wird. Immer stärker werden die Schläge an die Innenwände des Berges pochen, bis endlich der Ostrong entzwei bricht und das Wasser des Sees freien Lauf ins Yspertal hat. Das wird für das ganze Tal die Sintflut bedeuten. Weder für Mensch noch Tier wird Rettung möglich sein.

Bis das Wasser völlig abgelaufen ist, wird sich auch der Berg wieder schließen und auf seinem Rücken Schloß Weißenberg stehen, das vor Zeiten ins Tal hinabgrüßte.

 

Die Nixe vom Ostrong

Vor vielen Jahren lebte in Altenmarkt im Yspertal ein sehr armer Handwerksbursche. Kümmerlich mußte er sich sein Brot verdienen. Überall legte er Hand an, wenn es zu helfen galt. Und es gab keine Arbeit, die ihm zu schlecht war.

So verdiente er sich auch als Holzhauer auf dem Ostrong. Schwer und gefährlich war die Arbeit und gering war der Lohn. Täglich ging er den weiten Weg auf den Ostrong, um dort Bäume zu fällen. Eines Tages überraschte ihn mitten in der Arbeit ein arges Gewitter. Der fleißige Handwerksbursche merkte davon nichts, bis ein greller Blitz den ganzen Wald hell erleuchtete und ein furchtbarer Donnerschlag die Luft erschütterte.

Da wußte er, daß es hoch an der Zeit sei, die Axt niederzulegen und für die Dauer des Gewitters sicheren Unterstand aufzusuchen.

Kaum hatte er ein Plätzchen gefunden, das ihm einigermaßen Schutz vor den Unbilden des argen Wetters bot, war die Hölle los. Blitz um Blitz zuckte über den Himmel, daß er einem Feuermeere glich, und wuchtige Donnerschläge ließen die Erde in ihren Fugen erzittern. Auf einmal schmetterte ein Blitz mit furchtbarem Getöse vor dem Handwerksburschen in die Erde und warf diesen zu Boden.

Als er wieder zu sich kam, sah er ein weibliches Wesen von wunderbarer Gestalt vor sich stehen. Ein Mädchen mit dem lieblichsten Gesichte lächelte ihn freundlich an. Der Bursche war so verzückt, daß er das Mädchen fragte, ob es nicht seine Frau werden wolle. Es bejahte die Frage. Da war er selig und führte das schöne Mädchen als seine Frau in sein kleines, bescheidenes Heim. Hier lebten sie sehr glücklich mitsammen.

Wie nun das schon so auf Erden ist, können es manche Leute nicht sehen, daß zwei Menschen in Glück und Frieden miteinander leben. So gab es auch in Altenmarkt im Yspertal Menschen, die den zwei jungen Leuten das Glück nicht gönnten. Sie sahen, daß die junge Frau öfters bei Vollmondnächten das Haus verließ, um in den nahen Wald zu huschen. Dies hinterbrachten sie dem Manne, der ungläubig den Kopf schüttelte. Er mußte ihnen jedoch versprechen, in der nächsten Vollmondnacht seiner Frau nachzuschleichen.

Als wieder der Vollmond vom Himmel auf die Erde niederlachte, schlich der junge Mann seiner Frau in den Wald nach. Er wollte sie beobachten, und, wenn sie etwas Unrechtes treibe, zur Rede stellen. Da öffnete sich plötzlich vor ihm die Erde und seine Frau sprang in einen wunderschönen blauen See. Ein greller Blitz durchzuckte den Himmel und warf den jungen Mann zu Boden. Als er wieder zur Besinnung kam, rief eine laute Stimme: "Warum bis du mir gefolgt? Nun Kehre ich nicht mehr zu dir zurück!"

Traurig ging der Mann nach Hause. Vergebens wartete er hier auf seine schöne Frau, doch sie kam nie wieder.

 

Die Schürzenfrau vom Weißenberg

Fichten rauschen auf dem mächtigen Gesteinsrücken, auf der Höhe des Ostrongs, im südlichen Waldviertel. Sie verdecken einen brüchigen Mauerbogen der Festung Weißenberg, den Überrest einer mächtigen Burg.

Vom Jahre 1268-1326 lebte hier das Geschlecht derer von Weizzenberkh. Noch 1326 scheint in Weiten ein Wolfram von Weizpyriger auf. Dann verödete das Schloss. Bedeutend wurde es nochmals 1560 unter Samson Präzl. Seit 1678 besitzen es die Starhemberger, die es dem Verfall preisgaben.

Die Sage berichtet von einer geizigen Schlossherrin, die noch immer durch diese Gegend geistern soll.

Einmal trieb ein Bauernmädchen seine Ziegenherde gegen die Burgruine Weißenstein. Es war ein heißer Sommertag, so legte es sich in den Schatten eines Haselstrauches.

Das Mädchen war wohl eingeschlafen, als es das Rauschen von Seide und die Anwesenheit einer Gestalt weckte. Als es die Augen öffnete, erblickte es eine fremde Dame mit blassem Gesicht. Das schöne Haar fiel ihr bis auf die Schultern herab. Die Tracht, die sie trug, musste sehr alt sein, und die Schürze hielt sie mit beiden Händen hoch, als wäre etwas Schweres darinnen.

Klagend sprach die Frau das Mädchen an: "Mein liebes Kind, wenn du meine Schürze in die Kirche nach Münichreith tragen wolltest, könnte ich endlich erlöst werden. Sei aber nicht neugierig und schau nicht hinein, sondern lege die Schürze - wie sie ist - auf den Hochaltar.  Schon so lange schulde ich den Armen eine Gabe.

Siehst du aber in die Schürze hinein, muss ich weitere hundert Jahre in dem öden Gemäuer meine Schätze hüten, die ich meinen armen Verwandten verweigert habe. Deshalb muss ich so lange schon auf meine Rettung warten."

Das Mädchen wollte der schönen Dame gerne den Wunsch erfüllen und machte sich auf den Weg nach Münichreith. Unterwegs betete es einen Rosenkranz nach dem anderen, um nur ja nicht in Versuchung zu kommen, in die Schürze zu sehen.

Alles ging gut bis zu den Stufen der Kirche. Nun konnte es die Neugierde nicht mehr zurückhalten. Nur einen einzigen Blick wollte es auf die Kostbarkeiten werfen, die es so weit getragen hatte und sich daran erfreuen.

Als es die Schürze auch nur ein bißchen lüftete, erblickte es nur glühende Kohlen. Das Mädchen erschrak so sehr, dass es den ganzen Inhalt zu Boden warf - und ein tiefer Seufzer erzitterte im heißen Sommerwind.

Wie erwachend aus einem Traum fand das Kind seine Ziegen grasend vor und war froh, dem Spuk entronnen zu sein.

Als es seiner Mutter davon erzählte, wusste sie sogleich, dass es sich nur um die Schürzenfrau handeln konnte. Diese musste nun wieder ein Menschenleben lang um den Ostrong wandeln, wo das flüsternde Sehnen einer ruhelosen Seele um Erlösung bangt und in den Bäumen ächzt und stöhnt, und die Menschen ängstigt.